17.12.08, 126 km
Um 07.50 Uhr war ich bereit und stieg mit abgenommenen Hosenbeinen und Langarmtrikot aufs vollbeladene Rad. Da die Ersatzteile für die Nabenreparatur auch Platz brauchen, musste ich das Brot auf eine Fahrradtasche binden, da alle Taschen platschvoll waren.
Die ersten 30 km ging es den Weg zurück bis zur Einmündung in die Ruta 40, wieder mit 20 km Berg- und Talfahrt. Dabei hatte ich nicht den erhofften Rückenwind, sondern Seitenwind aus Norden. Was für ein Glück, dass ich dann auf der Ruta 40 Richtung Norden fuhr…
Kaum auf die Ruta 40 eingebogen kam mir ein Holländer mit seinem Fahrrad entgegen, der in Alaska startete und schon bald sein Ziel in Ushuaia erreichen wird. Wenig später überholte mich ein Pärchen aus Bern mit ihrem Camper. Sie starteten vor 2 Monaten in Buenos Aires und mussten ihr ursprüngliches Ziel aufgeben, Neujahr in Nordamerika zu feiern – es gibt in Südamerika einfach zu viel zu sehen… Und wenig später kam mir ein Schweizer Velofahrer-Pärchen entgegen, welches 2 Monate unterwegs ist und gerade von der Carretera Austral kommt.
Der Gegenwind hielt sich vormittags noch zurück, so dass ich trotz der vielen Stopps bis Mittag 60 km schaffte. Dann hatte ich für 3 km dank einer Bergflanke sogar Windschatten – doch dann wurde es brutal, denn Windstärke 8 war angesagt. Als es nach 91 Kilometern auf Schotter weiterging, gab es dann zuweilen auch Spitzen von Stärke 9! Wenn ich mit dem Rennvelo mit 80 Sachen den Passwang hinunterbrause, pfeift mir der Wind ähnlich stark um die Ohren wie hier bei einem Tempo von 4-5 km/h… Deshalb waren auf dem Schotterabschnitt auch einige Schiebeeinlagen angesagt, da Radfahren schlicht unmöglich war. Die 17 Kilometer Schotter werden aber auch bald durch eine Asphaltstrasse ersetzt sein, denn die Bauarbeiten sind im Gange und das neue Trassee besteht schon fast durchgehend.
20 Kilometer vor der Abzweigung nach El Chaltén drehte dann die Strasse endlich nach Osten ab – und ich hatte endlich wieder Rückenwind! Genau dort kam mir dann Peter aus Deutschland entgegen, dessen Velotour in El Calafate enden wird. Man sieht also, dass ich mich nun auf einer beliebten Velostrecke befinde…
Gleich bei der Abzweigung nach El Chaltën habe ich mein Nachtlager aufgeschlagen. Das gelang mir aber erst beim zweiten Mal, denn beim ersten Versuch kam plötzlich eine starke Windbö etwas von der Seite (zum sonst ohnehin schon fürchterlich starken Wind…), und das Zelt flog mir entgegen, als ich nach den Heringen am Zeltende auch jene beim Eingang setzen wollte. Das Zelt konnte ich dann wie einen Drachen in der Luft halten… Nun sind alle Heringe zusätzlich mit Steinen beschwert, so dass da heute Nacht nichts passieren sollte. Und 12 Stunden nach dem Aufbruch konnte ich dann ins Innere schlüpfen. Morgen warten dann 90 Kilometer Gegenwind auf mich…
18.12.08, 88 km
04.30 Uhr: Tagwache! Um dem Wind zu entfliehen, begann ich den Tag sehr zeitig. Doch der Wind wartete die ganze Nacht auf mich und schüttelte das Zelt anhaltend durch. Immerhin machte er das dann nur noch mit Windstärke 5…
Ab Kilometer 30 konnte ich dann das Massiv vom Monte Fitz Roy erblicken. Als ich die Felswände in die Höhe ragen sah, war mir auch klar, warum die Reiseführer davon schwärmen…
Der starke Wind kam dann heute schon ab 10.30 Uhr, wo ich nach 55 Kilometern mein erstes Mittagessen eingenommen habe. Dennoch schaffte ich mein Ziel, bis zu Mittag bis auf 30 km an El Chaltén heranzukommen – ich war da bereits bei km 66 angelangt… Danach ging es ständig leicht bergauf, und der Wind gab einem das Gefühl, man sei in einer hochprozentigen Steigung. Dann kam endlich das Schild “El Chaltén 1 km”. Es waren dann zwar noch deren 3, aber die letzten Reserven konnten noch rausgekitzelt werden.
Im Hostal übernachte ich im Zimmer mit einem Chilenen und einer Holländerin, welche gleichzeitig von der anderen Seite her mit dem Fahrrad ankamen.
Bevor ich mich im Supermarkt mit dem Nachtessen eindeckte, erwarb ich in der Farmacia noch eine Voltaren-Salbe. Seit gestern sticht es immer wieder im linken Knie, wenn ich in die Pedale trete. Wahrscheinlich habe ich mir in El Calafate was überdehnt, als ich im Hostal die Beine überkreuzt aufs Tischchen legte und las.
19.12.08, 52 km
Den Wecker hatte ich auf die selbe Zeit eingestellt wie gestern, denn das Schiff auf dem Lago del Desierto fuhr um 10.30 Uhr und um 17.30 Uhr – und bis dorthin sind es 35 Kilometer auf Schotterpiste im Gegenwind… Der Chilene stand dann auch um 5 Uhr auf, da er den Sonnenaufgang mit dem rotfarbenen Fitz Roy bestaunen wollte. Als ich abfuhr, kam er unverrichteter Dinge wieder zurück – Wolken verhinderten die Sicht auf den Fitz Roy.
Die Strasse führte bald in den Wald hinein, so dass ich zumeist etwas windgeschützt vorwärts kam. Zudem war der Strassenzustand nur an einigen wenigen Stellen ziemlich übel. Dafür gab es gegen Ende ein paar kurze aber steile Anstiege. Beim letzten fixierte ich schon den Punkt, an dem ich absteigen und schieben wollte, als mir 2 Wanderer entgegenkamen, wobei die Dame rief “You are my greatest hero!”. Da konnte ich mich natürlich nicht hängenlassen, ging aus dem Sattel und wuchtete mich hoch! So hbe ich die ganze Strecke bis zum Lago del Desierto ohne Schiebeeinlage geschafft.
Den See erreichte ich dann mehr als 1 Stunde bevor das Schiff planmässig ablegt. Bald gesellten sich auch Jess und Jules aus Australien mit ihren Bikes dazu, die gestern von El Chaltén herfuhren und campierten. Später kamen dann auch noch ein paar “normale” Touristen, wobei der Bus mit 90 Minuten Fahrzeit nur doppelt so schnell war wie ich… Die Crew tauchte dann auch mal auf, und irgendwann nach 11 Uhr starteten wir die Fahrt über den See. Auf der anderen Seite liessen wir uns die Ausreise aus Argentinien in den Pass stempeln, und kurz nach 12 Uhr machten wir uns ans Herzstück dieser Etappe. Es verblieben noch 4 Kilometer auf argentinischem Boden – und die hatten es wahrlich in sich! Radfahren war da nicht mehr möglich, sondern nur noch laufen und schieben. Da auf dem Waldpfad auch Personen und Gepäck mit Pferden transportiert werden, ist dieser manchmal sehr tief und schmal, so dass ich schon beim Zoll die Vorderradtaschen an Oberrohr und Lenker hängte. Es ging dann gleich brutal steil los – und als ich so das Velo im Graben unten hatte und ich fast auf Lenkerhöhe! lief, hängten auch die Hinterradtaschen an. Die ersten beiden Steilstücke riss ich so das Fahrrad noch durch, doch das war sehr zeit- und kraftraubend. Also musste eine neue Packtechnik her! Ich entfernte eine der Taschen und band sie auf die schwarze Packtasche. Doch so kam ich nicht weit, denn das Gepäck war sehr instabil und rutschte seitlich hinunter. Nach weiteren Mühen fand ich dann die ultimative Lösung, um vorwärts zu kommen: Die schwarze Packtasche band ich längs auf den Gepäcksträger, und die linke Hinterradtasche hängte ich über die rechte und fixierte sie an der schwarzen Tasche. So kam ich besser voran, und die beiden Australier werde ich wohl morgen beim Warten aufs Schiff wieder sehen…
Neben der zu bewältigenden Steigung waren auch unzählige Baumstämme zu überwinden und abenteuerliche Bachquerungen vorzunehmen: zuerst über einen schmalen Steg, dann über einen noch schmaleren Steg, wo ich das Velo durchs Wasser schob, dann barfuss mit Velo durchs Wasser…
Zwischendurch hatte ich auch noch Riesenglück, als ich auf einem glitschigen Abschnitt ausrutschte und ich mir das rechte Bein unter dem Gepäckträger einklemmte. Wenn so das Rad mit dem gesamten Gepäck aufs Knie fällt, könnte das böse Konsequenzen haben. Anscheinend bin ich aber mit einer Prellung an der Kniekehle davongekommen.
Um 16.30 Uhr sah ich dann das Willkommensschild von Chile – das Abenteuer war aber noch lange nicht zu Ende! Der Pfad wurde da zwar zum Weg, wo man nur mit wenigen Ausnahmen nicht radfahren konnte, aber nach kurzer Zeit kam ich zu einem Fluss, wo es die halbe Brücke weggeschwemmt hatte. Die Hosen hochlitzen war zwar eine gute Idee, doch die Ausführung war mangelhaft! Von der Holländerin sah ich gestern ein Foto, wo sie da bis Mitte Unterschenkel im Wasser stand – und es erschien mir nicht, dass sie extrem lange Beine hat. Ich stand jedenfalls plötzlich bis zu den Oberschenkeln im eisig kalten Wasser…
Nach dieser Passage habe ich dann das Gepäck wieder “ordentlich” angehängt, rollte übers Flugfeld und fuhr weiter nach Candelario Mansilla. Dabei hatte es dann auch immer wieder etwas geregnet. Schlussendlich kamen auch noch die Bremsen intensiv zum Einsatz, da es steil hinunterging, und der nahe Abgrund sehr tief war… Als ich um 19 Uhr zum Grenzposten kam, hat es dann richtig geschüttet, und als ich dem Beamten sagte, dass ich weder Früchte noch Gemüse dabei habe, hatte er keine Lust, im Regen die Ladung zu inspizieren…
Kurz vor der Anlegestelle ging dann ein Weg kurz und steil hinauf, wo ich nun in einer Estancia im Trockenen übernachte. Der heutige Tag war wahrlich ein Highlight dieser Tour und wurde gebührend mit Sonnenschein und herrlichem Blick auf den See beendet!
20.12.08, 8 km
Nach den beiden anstrengenden vorangegangenen Tagen war es heute etwas gemütlicher. Frühstück gab es um 9 Uhr, das Schiff 1 Kilometer entfernt nach Villa O’Higgins fuhr um 17 Uhr. Bis in den Nachmittag hinein kümmerte ich mich ums Velo – putzen, ölen, Schrauben nachziehen, Schutzblech am Hinterrad weiter einstellen, Kette spannen, Bremsen einstellen… Es gab viel zu tun – und das freundlicherweise bei Sonnenschein und warmen Temperaturen.
Um 14 Uhr fuhr ich dann hinunter zur Anlegestelle – kurz darauf setzte dann leichter Regen ein… Eine Stunde später kamen dann auch Jess und Jules, die die Estancia gestern um 22 Uhr erreichten und dann campierten. Die nächsten Tage werde ich wohl mit ihnen zusammen fahren, da wir die selbe Route (gut, die nächsten 400 Kilometer gibt es nur eine Strasse und auf den folgenden 800 nur 2 Abzweigungen…) und den selben Zeitplan haben. Um 20 Uhr erreichten wir dann die Anlegestelle von Villa O’Higgins, wo es dann noch 7 Kilometer eben ins Dorf waren.
Die Landschaft ist hier völlig anders, viel grüner. Dafür wird uns wohl auch etwas Feuchtigkeit in den nächsten Tagen begleiten… Nachdem wir eine Unterkunft gefunden hatten, gingen wir noch rasch in den Dorfladen und deckten uns mit Lebensmittel ein. Und nach dem Essen war es dann auch schon fast wieder 23 Uhr…
21.12.08, 59 km
Kaum ein Abenteuer beendet, beginnt schon das nächste: Auf der Carretera Austral nach Norden. Diese verbindet die Orte bis hinauf nach Chaitén (nicht zu verwechsen mit El Chaltén in Argentinien!), wobei der Bau erst vor etwa 30 Jahren begonnen und das letzte Teilstück 1999 eingeweiht wurde. Was für Ingenieurarbeiten dafür notwendig waren, konnten wir heute schon erahnen, als es über einige Brücken ging und die Strasse in weggesprengte Felsmassen geklebt wurde. Wasser aller Art begleitete uns dabei. Flüsse, Seen und Wasserfälle erfreuten uns aber mehr als Schneeflocken und Regen... Es ist deutlich kühler geworden, so dass wir die zur grünen und blauen Natur kontrastierende Schneefallgrenze deutlich – und viel zu nahe – sehen konnten.
Im Verlaufe des Tages wurde es nicht nur feuchter, sondern der Gegenwind wurde immer stärker und die Schotterstrasse ruppiger. Dass wir die angestrebte Fährfahrt um 19 Uhr nach Puerto Yungay nicht mehr schaffen werden, sahen wir schon bald. Und dann stellten sich auch noch Berge in den Weg...
Kurz vor dem zweiten Gipfel machten wir einen ebenen Platz aus, wo wir um 18 Uhr im strömenden Regen unsere Zelte aufschlugen. Ob wir die verbleibenden 40 Kilometer bis zur 11 Uhr oder 13 Uhr-Fähre morgen schaffen werden, oder doch erst die Abend-Fähre erwischen werden?
Der Verkehr war heute dichter, als ich angenommen hatte: 4 Autos, 1 Motorrad und 12 Velofahrer kreuzten unseren Weg...
22.12.08, 97 km
Wie vereinbart standen wir um 5 Uhr auf, damit wir ca. um 6 Uhr losfahren und die 11 Uhr-Fähre zu erreichen versuchen können. Da seit gestern Dauerregen herrscht, musste ich wieder in die feuchten Regenkleider schlüpfen und das Zelt im nassen Zustand einpacken. Auf der Strecke galt es zuerst, einige Steigungen zu bewältigen. Bei diesem Wetter setzte dies Jess und Jules mehr zu als mir. Ich bin da in Uruguay schon durchgegangen...
Nach Haarnadelkurven-Abfahrten wurde es dann die letzten 20 Kilometer wieder flach, so dass wir rechtzeitig die Fähre von Río Bravo nach Puerto Yungay erreichten. Auf der 45minütigen, kostenlosen Überfahrt wärmten wir uns in der Kabine wieder etwas auf. In Puerto Yungay fuhr ich dann vor den beiden Begleitern los, da die Kette von Jess’ Fahrrad nachgespannt werden musste. Wir vereinbarten, dass wir die etwa 60 Kilometer entfernte Schutzhütte heute erreichen wollen, damit es morgen nach Cochrane wieder eine etwas kürzere Etappe sein wird.
Nach ein paar wenigen Metern Anstieg ging es flach weiter, und ich kam etwa 6 Kilometer gut voran. Doch dann kam es knüppeldick: Die Strasse kletterte himmelwärts, und mein Puls ebenso! Knapp 100 Meter war der Untergrund so schlecht, dass ich das Rad über das Geröll schieben musste – das ganzxe natürlich immer noch im Regen! Dann konnte ich in diesem Steilstück wenigstens wieder in die Pedale treten und Tritt für Tritt im Schneckentempo Wegstrecke zurücklegen. Plötzlich rissen dann die Wolken auf und die Sonne kam hervor. Rasch waren die Regenkleider innen nasser als aussen...
Nach 2 Stunden Fahrt hatte ich dann die 400 Meter Höhendifferenz endlich überwunden und konnte mich in die ähnlich steile Abfahrt stürzen. Nach einer Fahrt durch einen tiefen Canyon führten ein paar Serpentinen auf den Talgrund, wo es dann zuerst flach weiterging. Bei sonnig warmem Wetter konnte ich dann die schöne Natur von diesem Regengebiet bewundern. Unterwegs packte ich dann auch mal das Zelt und die nassen Sachen aus, um sie zu trocknen. Nach einem längeren sanften Anstieg machten ich dann auf der Höhe einen geeigneten Zeltplatz aus. Die Schutzhütte hatte ich entweder verpasst oder kommt in ein paar Kilometer – aber es war auch schon wieder 19.30 Uhr. Für Jess und James legte ich mein oranges Trikothemd an den Strassenrand, damit sie mich finden können – doch sie tauchten nicht auf. Offenbar haben sie schon vorher ihre Tagesetappe beendet.
23.12.08, 66 km
Damit ich in Cochrane genug Zeit haben werde, um alles zu erledigen, stand ich wieder früh auf und fuhr kurz nach 7 Uhr los. Zunächst ging es schön durch üppige Wälder und Seen entlang, wobei sich auch die Sonne wieder zeigte. Es hatte aber auch einige Wellblech-Abschnitte, wo es mich kräftig durchschüttelte, und das bei Schritttempo!
Nach 20 Kilometer kam dann wieder ein längerer Anstieg, welcher aber glücklicherweise nicht so steil war wie jener gestern in Puerto Yungay. Aber plötzlich krachte es hinter meinem Rücken und das Velo stand bockstill. Am Gepäcksträger hatte sich wieder eine Schraube verabschiedet, und an der anderen Haltestrebe hatte sich die Schraube gelockert, so dass der Gepäcksträger nach hinten auf den Boden kippte. Mit der letzten Ersatzschraube komplettierte ich wieder mein Rad und zog auch alle anderen Schrauben nach. 3 Kilometer später sah ich, dass sich die neue Schraube schon wieder gelockert hat. Im Fahren zog ich daher die Schraube nach – und bei Kilometer 40 verlor ich eine der unteren Halteschrauben... 5 Kilometer konnte ich so noch weiterfahren, dann streifte der Hinteraufbau zu stark am Reifen. Zur Gewichtsverlagerung band ich eine der hinteren Fahrradtaschen auf die andere Seite auf die schwarze Packtasche, womit ich weitere 10 Kilometer zurücklegte. Dann musste ich ins lockere Geröll hinaus und anhalten, da mir ein Autofahrer entgegenkam – und dieser hätte mich beinahe überfahren! Er kam (von ihm aus gesehen) ganz links aussen um die Rechtskurve geprescht und zog nach rechts rüber, als er mich sah. Dabei kam er auf dem Schotter ins Schleudern, zog wieder links rüber – und konnte erst ganz knapp vor mit den Wagen wieder abfangen!
Dafür flog ich beim Anfahren wieder vom Rad – und dabei brach mir die zweite untere Halteschraube. Damit wurde der Gepäcksträger nutzlos, da er kein Gewicht mehr tragen konnte. Ich band zuerst die Seitentaschen ans Oberrohr, hängte die schwarze Tasche an den Rücken und schob – doch irgendwie war das keine befriedigende Lösung... Nach wenigen Metern band ich dann alle Seitentaschen am Vorderrad fest und fuhr mit der schwarzen Tasche am Rücken die letzten 10 Kilometer nach Cochrane. Glücklicherweise ging es zumeist bergab, so dass ich nur rollen konnte – bzw. bremsen, denn die Wellblechpiste liess nur tiefe Geschwindigkeiten zu. In Cochrane musste ich dann feststellen, dass ich auch ohne Gepäck eine weitere Schraube verloren habe.
Nachdem ich mein Hostal gefunden hatte, machte ich mich auf Schraubensuche. Dabei wurde ich zuerst zum Supermarkt geschickt, der auch eine Veloabteilung hat – doch nichts passendes. Dann 2 Blocks weiter zur Ferretería – doch auch dort nichts. Ein paar Häuser weiter beim Taller hatte ich dann Glück: 3 neue Schrauben plus 2 Reserve – und den seit langem gebrochenen Gepäcksträger liess ich auch gleich schweissen. Nach diesem Tag war ich dann aber einfach zu müde, um noch ins Internet zu gehen. Nur noch essen und schlafen...
24.12.08, 70 km
Vollbepackt machte ich mich um 8 Uhr auf den Weg. Dabei musste ich schweren Herzens die letzte PET-Flasche zurücklassen, welche mich seit Montevideo begleitet hat. Sie hatte leider ein Loch zuviel...
Unterwegs hielt ich alle 5 Kilometer an und überprüfte die 6 Schrauben am Gepäcksträger – und jedesmal war dieselbe Schraube locker. Immerhin ist diese senkrecht positioniert und kann nicht rausfallen. Die Piste war aber auch praktisch durchgehend Wellblech. Doch die Aussicht war jeden Schlag über die Rippen wert. So zum Beispiel der Río Baker, welcher in einer mir bislang unbekannten grünblauen Farbkombination im Tal leuchtete. Oder der Lago Bertrand mit den Schneebergen im Hintergrund. Die Strasse war zuweilen auch extrem steil, und ich kam nur noch mit Schieben voran. Gemäss meinem Handbuch waren das die steilsten Abschnitte auf der Carretera Austral – mal sehen...
Am Nachmittag musste ich die Strasse nicht nur mit den wenigen Autos teilen, sondern auch mit Kühen, Pferden und Hühnern – die Strasse lebt!
Wenige Kilometer vor El Maitén und dann durch El Maitén hindurch wurde dann der Belag wieder mal so gut, dass ich es rollen lassen konnte – ansonsten waren auch bei den Bergabstücken nicht mehr als 10 km/h möglich, um nicht von der Piste abgeworfen zu werden. Wahrscheinlich werde ich morgen nochmals den ganzen Tag durchgeschüttelt, bis es wieder besser wird.
Obwohl es wahrscheinlich nicht die optimalste Therapiemethode ist, täglich stundenlang über Schotterpiste zu pedalen, geht es immerhin dem linken Knie immer besser. Heute spürte ich nur zweimal kurz ein Stechen und für ein paar Minuten einen unterschwelligen Druck. Bald sollte ich da also auch durch sein...
Kurz nach El Maitén sah ich ein Camping-Schild, und ich bog zur Bahía Catalina ab. Hier habe ich nun den Platz fast für mich allein – und wenn meine Nachbarn lärmen, hole ich das Messer hervor und schlachte diese Lämmer...
Zu Weihnachten spendierte ich meinem Fahrrad eine Komplett-Ölung – und mir viel Süsses...
25.12.08, 70 km
Am Morgen wurde ich nicht durch die Schafe geweckt, sondern durch Gänse, die herumschnatterten...
Nach 4 Kilometern Schüttelfahrt wurde der Belag deutlich spürbar besser, so dass ich die 45 Kilometer bis Puerto Río Tranquilo nicht die ganze Zeit eine einigermassen fahrbare Spur suchen musste. Stattdessen konnte ich das herrliche Wetter und die fantastischen Ausblicke über den Lago General Carrera und die Berge geniessen. Belästigt wurde ich dabei nur von Riesen-Bremsen. Ihre Grösse war aber auch ihr Verderben, denn ich spürte dadurch jede Landung und konnte alle totschlagen, bevor sie stechen konnten. Allerdings hatte ich das Gefühl, gegen eine Hydra anzukämpfen: hatte ich eine erlegt, kamen zwei neue hinzu...
In Puerto Río Tranquilo sah ich dann KJ und Phil aus Neuseeland rasten. Sie starteten in Bariloche und fahren bis El Calafate. Das war wieder eine gute Gelegenheit, gegenseitig Informationen über den Strassenzustand auszutauschen.
Ab Puerto Río Tranquilo ging dann die Piste in den gestrigen Zustand über, und ich wurde wieder kräftig durchgeschüttelt. Und der Gegenwind machte die Situation auch nicht angenehmer.. Nach 70 Kilometer sichtete ich dann gleich neben der Brücke über den Río Engaño einen einigermassen sichtgeschützten ebenen Platz, wo ich das Zelt aufstellen konnte. Somit verbleiben noch knapp 200 km bis Coyhaique, welche ich innert 3 Tagen zurücklegen möchte. Und bis auf wenige Kilometer soll die Strasse ja besser werden – und dafür den höchsten Punkt der Carretera Austral überwinden...
26.12.08, 71 km
Das frühe Aufstehen um 6 Uhr hat sich heute mehr als gelohnt, denn kaum hatte ich das Zelt eingepackt, begann es zu regnen. Deshalb war dann auch auf der ganzen Fahrt Regenkleidung vonnöten – die Jacke wegen den Temparaturen aber meist zurückgekrempelt.
Auf den ersten 3 Kilometern bis zur Abzweigung nach Bahía Murta war noch Rumpelpiste angesagt, dann rollte es deutlich besser dem Río Murta entlang. Nach etwa 30 Kilometern ging es dann für mehr als 10 Kilometer die Bergflanke hoch, zuerst in steilen Rampen, dann etwas moderater, immer wieder mit kurzen Abfahrten, bis ich eine Plateau erreichte, welches mit „ungefähr 600 Meter über Meer“ angegeben wurde. Im Aufstieg unterhielt ich mich auch mit 2 Österreichern aus Linz, die Südamerika mit dem Mietauto erkunden.
Nachdem ich im Tal des Río Murta teilweise noch gegen den Wind anzukämpfen hatte, wurde ich von diesem ab der 2. Hälfte vom Anstieg unterstützt – und ab dem Plateau konnte ich auch auf einem superharten, glatten und staubfreien Belag rollen. Wahrscheinlich ist dies der Abschnitt, der mit Lavaascha vom Vulkan Hudson präpariert wurde. Dieser brach zum letzten Mal 1991 aus.
Gemächlich konnte ich dann im Regenwald dahinrollen, und schon vor 14 Uhr habe ich meinen heutigen Zeltplatz ausgemacht – da waren die angestrebten 70 km schon erreicht. Wenn ich morgen nochnmals 70 km schaffe, verbleiben am Sonntag noch etwa 55 Kilometer bis Coyhaique – in der Hoffnung, dass das Fahrradgeschäft dort am Montag geöffnet ist! Und gemäss Handbuch ist es ja auch für geüpte Radfahrer beachtlich, auf der Carretera Austral eine Tagesleistung von 50 – 70 Kilometern zu erreichen... Zudem ist es sicher nicht schlecht, vor der Überquerung des höchsten Passes der Carretera Austral einen halben Ruhetag einzulegen. Jedenfalls campiere ich jetzt nicht an den Ufern des Mexico Rivers, sondern an jenen vom Río Ibañez in der Nähe des Bosque Muerto. Dort hatte der Wald doch ein bisschen Mühe mit dem Vulkanausbruch...
Kaum hatte ich das Zelt aufgestellt, kamen dann wieder die nächsten kräftigen Regenschauer. Am Abend zeigte sich dann aber doch noch die Sonne – hoffentlich macht sie das morgen den ganzen Tag...
27.12.08, 71 km
Das Wetter war heute wieder wunderbar. Zwar etwas kühler als noch gestern, doch dafür den ganzen Tag eitel Sonnenschein. Weniger Freude hatte ich am morgen an der Piste, die bald vollständig mit Rippen durchsetzt war. Bergauf erreichte ich so 4-5 km/h, bergab 8-10 km/h! In der Abfahrt nach 25 Kilometern wurde die Fahrbahn dann deutlich besser, und ich kam meinem Zwischenziel Villa Cerro Castillo bei km 30 immer näher: ab dort wird die Strasse asphaltiert sein!
Kurz vor diesem Ort musste ich noch durch eine Baustelle, und ich hatte deutlich mehr Glück als jene, die mir zwischen El Calafate und Puerto Río Tranquilo entgegengekommen sind. Diese mussten die Räder 2 km durch tiefen Sand schieben, während ich nun auf der schon kräftig gewalzten Strasse locker vorankam.
Beim Mittagessen kurz darauf habe ich nochmals einen Blick auf das imposante Massiv vom Cerro Castillo geworfen, und mich dann bergwärts bewegt. Der Portezuelo Ibañez hat den Scheitelpunkt auf einer Höhe von 1120 Metern, wohin es in Serpentinen hinaufging. Freundlicherweise wurde ich auch da vom Wind unterstützt – doch das war hoffentlich nicht der einzige Grund, warum ich da besser hochkam als noch die Alpenpässe vor einem halben Jahr...
Nachdem ich gestern keinen einzigen Tourenradler gesichtete hatte, gab es heute wieder ein paar Begegnungen. Zuerst traf ich Carsten kurz vor Villa Cerro Castillo, den ich schon mal auf die schlechte Piste und den strammen Gegenwind vorbereiten konnte. Und als ich mich so auf der Abfahrt vom Portezuelo Ibañez mit einem tschechischen Pärchen unterhielt (sie per Motorrad, er per Velo), kam Oliver herangeflitzt. Ihn hatte ich ja schon bei Tolhuin auf Feuerland getroffen. Wir beide fuhren dann noch ein paar Kilometer gemeinsam ins Tal, wobei ich mir dann früher einen Platz zum zelten suchte. Mal sehen, ob wir uns morgen wieder finden werden.
28.12.08, 58 km
Auch das letzte Stück nach Coyhaique hatte es in sich: nach wenigen Metern fuhr ich um einen Berghang herum, und eine steife Brise wehte mir entgegen. Da war ich froh, dass ich gestern nicht weitergefahren bin, denn sonst hätte ich wohl kaum eine so ruhige Nacht verbracht. Da der Wind auch extrem kalt war, nutzte auch der Sonnenschein wenig, und ich schützte mich mit dem Regenschutz. Da ich die Handschuhe schon länger zuunterst in einer Packtasche verstaut habe, zog ich dann wenigstens die ärmel über die klammen Finger.
Eigentlich hatte ich gehofft, den patagonischen Wind in Argentinien hinter mir gelassen zu haben, doch das war offensichtlich eine Fehleinschätzung. Auf dieser Seite der Anden weht der Wind einfach am morgen früh schon mit Stärke 7-8!
Nach einigen Tagen in Wäldern, Tälern und Seen entlang, fuhr ich heute über Wiedeflächen, immer wieder mit kleinen Steigungen und Abfahrten. Warum bin ich eingeltich so weit gereist? Dies hätte ich ja auch in den Schweizer Voralpen erleben können. Ach nein, dort geht ja kein Wind...
Erstaunt stellte ich fest, dass die chilenische Fauna lesen kann. 2 Schilder waren da aufgestellt, die es den Tieren verbot, die asphaltierte Strasse zu überqueren!
Um die Mittagszeit erreichte ich dann Coyhaique, und da ich den von Oliver angegebenen Campingplatz nicht sah, gönnte ich mir ein Upgrade und nahm ein Hotel im Zentrum. Wäre schön, wenn ich hier endlich die Hinterradnabe reparieren könnte. Seit 3'500 km fahre ich nun schon mit 2 Speichen weniger, und gestern abend musste ich auch die 3. Speiche ausbauen, die auch schon seit über 2'000 km angebochen war...
Coyhaique, 28.12.2008
Gesamtkilometer: 7685
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