06.01.09, 0 km
Kurz nach Jahresende sehen sich gewisse Leute einem signifikanten Druck ausgesetzt, weshalb ich mittels Powerpoint und dann, ins Tal des Río Coyhaique blickend, mental versuchte, ein bisschen Kraft über den grossen Teich zu transferieren. Versuchen kann man es ja!
Am Nachmittag war ich dann wieder in einem der beiden Supermärkte von Coyhaique. In südamerikanischen Supermärkten gibt es ja ein paar Unterschiede zu Migros und Coop. Erstens gibt es im Eingangsbereich entweder Schliessfächer, wo man seine Taschen verstauen kann, oder aber einen Servicebereich, wo diese abgegeben werden können und man dafür eine Nummer erhält. Somit bleiben alle Taschen ausserhalb vom Einkaufsbereich. Dann die Waagen: In Argentinien wird alles an der Kasse gewogen, während man in Chile Brot, Früchte und Gemüse einem wartenden Angestellten übergibt, welcher dann das Gewicht feststellt. An den Kassen schlussendlich werden auch Rechnungen bezahlt, so wie zuhause am Postschalter. Und mit Kreditkarten zu bezahlen ist auch kein Problem, wobei ich dann vor allem in Argentinien immer sagen muss, dass ich das ganze in einer einzigen Rate bezahlen will. Zur Kreditkarten-Identifikation wird übrigens die Unterschrift ignoriert. Nur mit einem Dokument, welches den selben Namen zeigt (auch das Foto wird nicht beachtet), wird die rechtmässige Verwendung sichergestellt. So zücke ich dann jeweils gleich auch meine ID und zeige dann in 95% der Fälle, welches die einzutippende Seriennummer ist. Ob da in Bolivien, Peru und Ecuador andere Sitten herrschen?
07.01.09, 0 km
Nach den vielen Tagen in Coyhaique habe ich heute wieder mal was richtiges unternommen und fuhr mit dem Bus nach Puerto Aisén und zurück. Zum ersten Mal in Südamerika mit einem öffentlichen Bus unterwegs – und teuer war das wirklich nicht: knapp CHF 4 für die jeweils 70 Minuten Fahrt hin und zurück...<
Auf der Fahrt habe ich dann schon mal die Strecke in Augenschein genommen, da dies die Fortsetzung meiner Radtour sein wird. Gleich nach Coyhaique wird es jedenfalls nicht einfach, wenn ich da aus dem Tal des Río Simpson die Flanke hochklettern muss. Und zuoberst stehen auch noch 3 Windräder, die kräftig drehen und Gegenwind anzeigen...
In Puerto Aisén habe ich dann gerade einen trockenen Moment erwischt: es wird ja gemunkelt, dass es in diesem Ort 370 Tage im Jahr regnet... Puerto Aisén war früher das Zentrum dieser Region. Doch dann verlandete der Hafen, welcher dann 15 Kilometer weiter nach Puerto Chacabuco verlegt wurde, und vor 35 Jahren wurde dann auch noch Coyhaique als Hauptort der 11. Region bestimmt. So ist das nun eine verschlafene Kleinstadt mit einer schmucken Plaza de Armas und der längsten Hängebrücke Chiles (mindestens zum Zeitpunkt der Fertigstellung). Eine Golden Gate Bridge im Kleinformat.
Wie in Coyhaique kündigt auch hier eine Sirene weit hörbar die Mittagszeit an. Allerdings gibt es dann nicht das Glockenspiel vom Kirchturm wie in Coyhaique.
Sonst haben nur noch die Tsunami-Tafeln meine Aufmerksamkeit erregt. Ob im Ernstfall die angegebene Fluchtrichtung tatsächlich etwas bringt scheint mir zweifelhaft, da es doch einige Kilometer flach dahingeht, bis man endlich eine Bergflanke erklimmen könnte. Und bis man diese erreicht hat, ...
08.01.09, 0 km
Während die Schweiz derzeit eine riesige Gefrierkühltruhe ist, habe ich hier das sonnig warme Wetter genutzt und lief gleich nach dem Frühstück los, quer durch die Stadt hinunter auf die Ruta 7, überquerte den Río Coyhaique und kletterte auf der anderen Uferseite wieder steil den Hang hinauf. Nach einer Stunde erreichte ich dann den Eingang zum Naturpark von Coyhaique, wo ich vom Ranger eine Karte bekam. Die kleine Runde dauere 4 Stunden, die Zusatzschlaufe benötige 4 weitere Stunden. 10 Stunden laufen (inklusive Hin- und Rückweg) sind schon etwas viel, weshalb ich mich auf die kürzere Variante konzentrierte.
Obwohl ich einige Stopps einlegte, um die Natur und den Blick auf Coyhaique festzuhalten, Vögel zu beobachten und die Stimmung in diesem Waldgebiet zu geniessen (an der Laguna Verde standen die Nadelbäume einmal auch so dicht, dass gar kein Sonnenlicht auf den Boden durchdringt und ich eine Weile warten musste, bis sich meine Augen an die Dunkelheit angepasst hatten!), hatte ich nach etwas mehr als eineinhalb Stunden schon fast die Hälfte der Runde erreicht und stand an der Verzweigung zur Zusatzschlaufe. Ich überlegte kurz, und nahm dann Punkt 12 Uhr den längeren Weg unter die Füsse. Während der ausserordentlich gut markierte Pfad (gut, er ist nicht markiert, aber am Boden deutlich sichtbar) bisher sanft anstieg oder flach war, ging es nun steil den Hang hinauf.
Auf der ganzen Schlaufe bereute ich nie, den weiteren Weg gewählt zu haben, denn es war einfach eine Pracht! Durch dichten Wald ging es einmal an einer Felswand vorbei, wo ein kleiner Wasserfall herunterplätscherte. Dann kam eine ganz eigenartige Sektion, wo die Bäume mit einem hellgrünen Organismus bedeckt sind, die überall wie Flechten herumhängen. Als ich unten im Tal den Ranger dazu befragte, meinte er, dass diese durch den Wind transportiert werden und unschädlich seien. Nun, die Bäume hatten nur noch ganz zuoberst in der Krone Blätter und der Wald war lichter als anderswo...
Die nächste Zone war noch aussergewöhnlicher: alte, ausgetrockenete Baumstämme lagen herum, und es wachsen nur kleine Büsche. Vor 50 Jahren sollen die Bauern Land urbar gemacht haben – und das ging am schnellsten mit Feuer. Diese seien dann ausser Kontrolle geraten und habe grosse Waldstücke vernichtet. In der Höhe haben seither die Bäume nicht mehr Fuss fassen können.
Nach diesem Bereich gab es nochmals einen aprupten Landschaftswechsel. Von einem Meter auf den anderen gab es keine Vegetation mehr, und die letzten ca. 50 Höhenmeter ging es nur noch über ganz kleine Steinchen hinauf zum Gipfel. Oben angekommen gab es dann die nächste Überraschung: es war gar kein richtiger Gipfel, sondern eher eine Plattform, wo man locker ein Fussballfeld mit Zuschauertribünen hinstellen könnte!
Ich lief dann doch eine Anhöhe hinauf, um ein Gipfelfoto zu schiessen – mit einem anderen, höheren Gipfel im Hintergrund nur ein paar hundert Meter entfernt... In dieser kahlen Landschaft fühlte ich mich eher in einer Wüste als auf einem über 1‘300 Meter hohen Berg – zumal es auch ziemlich warm war und der Wind ungewöhnlich schwach wehte. Beim Aufstieg war ich die ganze Zeit schwitzend im Windschatten, und auch auf dem Gipfel wehte nur eine sanfte Brise, dank der ich dann wenigstens wieder in trockenen Kleidern steckte.
Der Wanderweg war nun mit Holzpfählen signalisiert, wobei es nach dem grossen Plateau an der Flanke vom höheren Gipfel entlangging, um dann andere Höhepunkte zu erreichen. Der letzte Gipfel war dann der höchste Punkt auf der Tour, und ich hatte einfach eine fantastische Aussicht auf die Umgebung! Und der Pass mit den Windrädern, den ich beim Verlassen von Coyhaique zu überqueren habe, sieht von hier oben lächerlich klein aus...
Beim steilen Abstieg machten sich dann auch bald mal meine Oberschenkel bemerkbar. Da werden ganz klar Muskeln beansprucht, die ich beim Velofahren nicht benötige! Beim Bergabfahren brauche ich höchstens ein bisschen Kraft in den Fingern, nun müssen aber meine Beine bremsen...
Nach fünfeinhalb fantastischen Stunden verliess ich den Park wieder und lief zufrieden zurück in die Stadt. Immer stärker begann ich meine Beine zu spüren, und ich war heilfroh, als ich auch die letzten Meter hinter mich gebracht hatte. Heute nacht werde ich sicher ausgezeichnet schlafen – doch wie lange werde ich wohl noch körperlich an diesen Ausflug erinnert?
09.01.09, 0 km
Wie gestern befürchtet hatte ich heute Muskelkater in den Beinen, so dass ich mich nicht allzuviel bewegte. Das war dann auch eine gute Gelegenheit, das nächste Buch fertig zu lesen: Deception Point, wiederum von Dan Brown. Wann veröffentlicht er sein nächstes Werk?
Natürlich ging ich auch auf die Plaza des Armas und tankte kräftig Sonnenschein, doch am Nachmittag war es dann auch im Schatten zu heiss. Ich vertiefte mich dann noch ein bisschen im Kartenstudium: bis Bolivien gibt es einige Varianten, nordwärts zu kommen. Und vor April sollte ich ja nicht auf dem Altiplano sein, damit ich wegen der Regenzeit nicht im Boden versinke...
10.01.09, 0 km
Bis am abend war der Muskelkater fast komplett weg – bewegt habe ich mich jedenfalls nicht zu viel heute.
Es ist Wochenende, und deswegen habe ich wieder Live-Ticker im Internet verfolgt. Aufgrund der Weltcuppunkte wusste ich, dass die Schweizer im Dezember keine schlechten Resultate erreicht haben. Wohl deshalb waren die Kommentare über den 2. Platz im Skifliegen, den 4. Rang im Riesenslalom der Männer in Adelboden und dem 6. Platz bei den Frauen in Maribor schon leicht enttäuscht. Da ich jene Erfolge nicht mitbekommen hatte, erfreute ich mich jedenfalls an den heutigen Leistungen!
11.01.09, 0 km
Heute habe ich die Strecke in der Seen-Region zwischen Puerto Montt, Bariloche und Temuco festgelegt. Ich glaube, da werde ich ein paar schöne Wochen verbringen, wenn das Wetter mitspielt...
Kaum hatte ich meine Entscheidung getroffen, begegnete ich Anke aus Deutschland und Jason aus den Staaten, welche von Norden her mit dem Rad die Stadt erreicht haben. Wir unterhielten uns fast den ganzen Nachmittag und Abend und tauschten gegenseitig Informationen über die Strecke und Erlebnisse aus.
Ob meine neue Nabe morgen eintreffen wird?
Coyhaique, 12.01.2009
Gesamtkilometer: 7685
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